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Poppy – Negative Spaces (2024)

  • Autorenbild: Michael Scharsig
    Michael Scharsig
  • 15. Nov. 2024
  • 4 Min. Lesezeit

Moriah Rose Pereira begann ihre Karriere mit surrealen Videos auf YouTube und entwickelte ein künstliches Alter Ego namens Poppy. Lange als rätselhaftes Internetphänomen von der Gesellschaft beobachtet und diskutiert, veröffentlichte sie 2016 schließlich ihre Debüt-EP Bubblebath, gefolgt von ihrem ersten Album Poppy.Computer im Jahr 2017. Wer hätte damals gedacht, dass aus dem blonden Roboter einmal eine Grammy-nominierte Metal-Artistin werden sollte?

Artwork des Album "Negative Spaces" von Poppy

Ähnlich bizarr wie ihr Alter Ego ist auch ihre musikalische Entwicklung. Von Kaugummi-Pop über Electro- und Synthwave bis hin zu Nu-Metal war schon alles dabei. Ihr Album I Disagree von 2020 erhielt eine Grammy-Nominierung für die beste Metal-Darbietung mit dem Song Bloodmoney. Nächstes Jahr liegt sie für Suffocate gemeinsam mit der Band Knocked Loose erneut im Rennen. Nun präsentiert sie also mit „Negative Spaces“ ihr sechstes Studioalbum, das moderne Metal-Elemente mit eingängigen Pop-Melodien und experimentellen Klanglandschaften verbindet.


Produziert wurde das Ganze von Jordan Fish (Porno-Name), der – so der allgemeine Tenor – hauptverantwortlich für den plötzlichen Aufstieg der Band Bring Me The Horizon – war. Bis zu seinem Ausstieg. Ebenfalls beteiligt ist Stephen Harrison, ehemals Mitglied der Band Fever 333 und nun mit House of Protection unterwegs. Was soll ich sagen? Auf der einen Seite ist das Mitwirken der beiden spannend und sicherlich auch ihr Verdienst, dass Negative Spaces so kraftvoll und zugleich nuanciert wirkt. Doch es ist auch ein Kritikpunkt, den ich setzen möchte und der einzig und allein in meinem eigenen Geschmack begründet liegt.


Spiritbox Me The Knocked Horizon


So sehr ich Bring Me The Horizon auch schätze und ihnen den Erfolg gönne, so sehr ist es vor allem die Produktion, wegen der ich eben niemals ein BMTH-Album vollends genießen kann. Es geschieht mir einfach zu viel auf einmal. Sämtlicher Raum wird gefüllt mit Lärm, bassigem Sound, verzerrten Elementen und Vocals, Pads, Synthlines – bis alles im Stile eines Devin Townsend miteinander verschmilzt. Das ist Absicht und hin und wieder flutschen dabei echte Bretter wie Kingslayer, DArkSide oder Throne heraus. Ein ganzes Album lang werde ich mit dem gesteuerten Chaos aber nie warm. Trifft das nun auf Poppys Album auch zu? Jein.


Los geht’s mit have you had enough, bei dem ich nach den ersten Sekunden zweimal hinhören musste, ob da nicht Courtney LaPlante von Spiritbox sing. Vor allem in poppigen und cleanen Momenten wird sich das später noch ein-, zweimal wiederholen. Fun Fact: Auch Spiritbox haben schon mit Jordan Fish in Studios abgehangen und kränkeln meiner Meinung nach ebenfalls hin und wieder an den massigen, dichten Produktionen. Schwamm drüber, denn der Opener verwandelt sich in ein Metalcore-Monster mit groovigen Drums, Poppys hexenhaftem Geschrei und satten Riffs.


Ihre charakteristische Stimme bewegt sich mühelos zwischen zarten Gesangslinien und intensiven Schreipassagen. the cost of giving up ist das perfekte Beispiel dafür. Sie umhüllt Dich mit ihrer poppigen Stimme, Glöckchen hier, Piano da und einen halben Song später bricht die Apokalypse über dir los. they’re all around us macht es dann anders herum und schrammelt sich von Beginn an über Double-Bassdrum und ätzenden Riffs wie ein Knocked-Loose-Feature durch die Boxen ehe der Refrain wieder breit und melodisch wird. Dann wieder „Blegh!“


Pressefotos der Sängerin Poppy

Bis hierhin scheint es, als bekämen wir bei Poppys Album viel Spiritbox’schen und Knocked Loose’schen Sound. Nach dem kurzen Interlude yesterday klatscht uns crystallized aber auf die Wange. Zu früh geurteilt! Stilistisch bricht Poppy plötzlich komplett aus und macht einen Ausflug in die Welt der 80er Synthesizer und wummernden Beats des 90er Eurodance. Ohne dabei witzig oder satirisch zu wirken. Im Gegenteil. Es ist beinahe lächerlich, wie smooth der Übergang klappt. I Like The Way You Kiss Me! In „Push Go“ holen mich dann die Industrial Drums, verzerrte Pads, groovige Gitarren und Gesangslinien wie zu Madonnas spannendsten Zeiten ab. Da übersehe ich gerne mal das generische „vital“ dazwischen.


Hach, Crush. Bevor ihr mich jetzt aber als voreingenommen abstempelt: Nein. Nicht alles ist auf diesem Album perfekt. So stellt nothing exakt den uninspirierten Metalcore dar, den ich dem Genre heutzutage oft unterstelle. Eine Mixtur aus „How to“-Formel und zugegeben coolen Screams, aber langweiligem Chorus und Möchtegern-Breakdown. Dafür brechen dann einen Song später aber wortwörtlich die Sirenen los. the center‘s falling out trifft mit schweren Riffs und einem sexy-tödlichen Geschrei voll ins Gesicht. Die engelsgleiche Fahrstuhlmusik von hey there ist im Anschluss bitter notwendig.


Titeltrack negative spaces öffnet dann die Stadiontüren für geradlinigen Hard-Rock, der – warum auch immer – gut zum melancholisch-entspannten Refrain passt. Die Fans bekommen ihre „Whoa“-Mitsing-Momente und nach nicht mal drei Minuten ist der Spaß vorbei. Mit surviving on defiance folgt ein Hybrid aus wunderschöner EDM-Ballade und Metalcore-Märchen, ehe ein weiteres meiner Highlights, new way out, mit seinem düsteren Industrial Riffs und den vielleicht besten Melodien der Platte abgefeuert wird. Und ja, das kleine Disturbed-Tribut ist mir nicht entgangen.


„ARE YOU NOT ENTERTAINED?“


Der 50-sekündige Monolog tomorrow wirkt dann wie ein Reminder an Poppys alte Zeiten, als die Welt noch rätselte, wer diese gruselige und wortkarge Blondine auf YouTube war. „I like entertaining. Don’t We All Like Entertaining?“ fragt sie, als sei sie eine Androidin. Und vielleicht ist das auch genau der Punkt, den sie am Ende dann doch macht: Poppy ist das Produkt des Zeitgeists. Sich den Wandel der Nachfrage kreativ zu Nutzen machen. Sich dabei stilistisch einzäunen? Warum?


Fazit: ⭐⭐⭐⭐ / 5


Trotz der Vielfalt an Stilen bleibt Negative Spaces kohärent und spiegelt Poppys künstlerische Fähigkeit, verschiedene Genres zu einem einzigartigen Sound zu verschmelzen, wider. Auch inhaltlich holen mich Themen wie Selbstzweifel, persönliches Wachstum und die Suche nach Motivation ab. Ich würde ja sagen „das Album festigt ihren Einstieg in das Metal-Genre und unterstreicht, dass sie eine der innovativsten KünstlerInnen der Szene ist“. Wer aber erwartet, dass sie so etwas jetzt immer abliefert, der wird womöglich enttäuscht werden. Bei Jazz über Techno bis Schlager ist bei dieser Frau nichts unmöglich.

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