Chris Harms - 1980 (2025)
- Michael Scharsig
- 9. Feb.
- 3 Min. Lesezeit
Blood & Glitter, war das bitter. So oder so ähnlich klang ein Kommentar von Olli Schulz zum 2023er ESC-Debakel von Lord of the Lost. Abgesehen davon, dass ich dem lieben Olli vehement widerspreche, habe ich mich seitdem mit der Musik der Band auseinandergesetzt und sie lieben gelernt. Was ich besonders an Sänger Chris Harms und seiner Truppe schätze, ist die positive Art und Weise, mit der sie den sonst so eindimensionalen deutschen Industrial-Rock beackern. Gefühlt eine Goth-Band, doch auf der anderen Seite stehen auch Blümchen-Features, Pet-Shop-Boys-Cover und ein Podcast mit Links-Punk Swiss von Swiss & Die Andern. Kurz: Einfach eine kreative, stabile Band, die mehr für gesunde Kultur tut, als viele andere.

Umso mehr habe ich mich über die News gefreut, dass Frontmann Chris Harms mit 1980, nicht nur sein erstes Soloalbum produziert hat, sondern dieses auch noch ein Konzeptalbum aus Synth-Pop, Wave und Electro darstellt. Ganz ohne Metal. Gemeinsam mit Corvin Bahn aufgenommen und von Benjamin Lawrenz gemixt, mit beinahe ausschließlich Instrumenten der damaligen Zeit. Gäste wie Sven Friedrich (Solar Fake) und Ronan Harris (VNV Nation) gesellen sich dazu. Weil ich einen Soft-Spot für Synthies, Arpeggios und Co. habe und auch Chris Harms als Musiker und Person wie gesagt sehr schätze, ist 1980 für mich also Pflichtprogramm.
Der gemütliche Opener I Love You schmeißt direkt diese wunderbar hallenden 80er Drums aufs Parkett und legt mit klaren Synths und treibendem Beat den Grundstein. Der Song wirkt leicht, ohne belanglos zu sein, und transportiert eine unterschwellige Melancholie, die zum Album passt. Musikalisch bin ich bereits drin, mit Ausnahme eines kleinen Key-Change im Chorus fehlt mir aber noch der ganz große Aha-Effekt. Der kommt wie gerufen aber direkt im Anschluss. She Called Me Diaval erinnert in Aufbau und Atmosphäre sofort an modernen Synth-Pop à la The Weeknd. Rhythmisch klarer, dunkler im Ton, mit mutigerem Gesang - für mich einer der Tracks, die zeigen, wie sicher Harms in diesem Terrain agiert.
Somewhere Between Heaven And Armageddon lebt anschließend von Kontrasten. Breite Synthflächen schaffen Weite, während Bass und Rhythmus gelegentlich ein wenig Spannung einstreuen. Der Refrain und das schöne Melodie-Writing bleibt hängen, ohne sich aufzudrängen. Ohnehin ist bislang mein Eindruck, dass hier nirgendwo mit dem Brecheisen eine Show abgeliefert wird. Missed Call macht damit weiter, ist aber ein bisschen direkter: poppiger, tanzbarer, mit klarem Fokus auf die Hook. Wie ein kurzes Innehalten im Albumfluss. Damit das Album sich nicht zu sehr in eine Ecke tanzt, kommt genau zum richtigen Zeitpunkt Madonna Of The Night. Sven Friedrichs Stimme ergänzt Harms perfekt, die Atmosphäre wirkt dichter, ohne überladen zu sein. Eine Top-Kollab!
Lunamor bringt zu Beginn den Weeknd’schen Ton zurück: heller, fast verspielt, mit einem Refrain, der ins Ohr geht. Für mich eine willkommene Abwechslung, die zeigt, dass auch leichtere, clubtauglichere Momente ihren Platz im Konzept haben. Der einzige Track, der charakteristisch fast wie liebevolle Satire wirkt, weil durch das repetitive “Lunamor, Lunamor” etwas Mini-Schlager mitschwingt. Parallax verbindet anschließend erneut poppige Melodien mit dunkleren Untertönen. Die Produktion ist modern und sauber, besitzt ein bisschen mehr Funk und Groove, bleibt bei mir aber nicht so stark im Ohr wie andere Songs. Past Pain nimmt sich hingegen Zeit: überlange Spannungsbögen, Hall und Delay, die Tiefe erzeugen. Eine der zwei emotionalen Balladen des Albums und eine willkommene cineastische Abwechslung.
The Grey Machines mit Ronan Harris ist eine weitere passende Zusammenarbeit. Dicht arrangiert, pulsierend, mit klarer Handschrift - ein Song, der die Stärke von Zusammenarbeit und Konzeptarbeit zeigt. Vagueness Of Faith wirkt solide, aber weniger markant. Atmosphärisch stimmig, doch ohne das gewisse Etwas der stärkeren Stücke. May This Be Your Last Battlefield schließt das Album dann kraftvoll ab. Mehrschichtige Synths, orchestrale Elemente und ein Gesang, der zwischen Zurückhaltung und Kraft wechselt, machen ihn zu einem runden Finale. Besonders gefällt mir die raue, emotionale Färbung von Harms’ Stimme am Ende, bevor das Album im Cyberpunk-Nebel zu verschwinden scheint.
Fazit: ⭐⭐⭐⭐ / 5
1980 ist für mich ein gelungenes Soloalbum, das zeigt, wie vielseitig Chris Harms ist. Die klare Orientierung an den 80ern wirkt authentisch und modern zugleich, und die Feature-Gäste sind nicht nur nettes Beiwerk, sondern klug eingewebt. Nicht jeder Track hat die gleiche Strahlkraft, doch mit Songs wie Madonna Of The Night, May This Be Your Last Battlefield oder The Grey Machines beweist Harms zudem große Songwriter-Qualitäten, die sich super ergänzen zu den clubbigeren Nummern. Wer Synth-Wave und elektronische Popmusik mag, wird hier viel Freude haben. Für mich eine stimmige Hommage an eine Epoche, die bis heute nichts von ihrer Faszination verloren hat.










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