The Weeknd – Hurry Up Tomorrow (2025)
- Michael Scharsig
- 4. Feb.
- 4 Min. Lesezeit
Verlangt The Weeknd seinen Fans mit den eigenen künstlerischen Ansprüchen zu viel ab oder ist er genau deshalb einer der letzten ganz großen Popstars? Hurry Up Tomorrow ist sein sechstes Studioalbum, das am 31. Januar 2025 erschien. Mit insgesamt 22 Songs und einer Laufzeit von fast 85 Minuten schließt es die Album-Trilogie ab. Während After Hours (2020) die Hölle in Form von Selbstzerstörung und dunklen Seiten des Ruhms behandelte, stellte Dawn FM (2022) den Übergang in das Fegefeuer dar – im Großen und Ganzen die Reflexion über das Leben, den Tod und das, was dazwischen liegt.

Doch damit nicht genug. Verlust, Reue und die Hoffnung auf einen Neuanfang scheinen auch über die Kunstfigur hinaus eine Rolle zu spielen. Seit mehr als vier bis fünf Jahren deutet Abel Tesfaye, so sein bürgerlicher Name, immer wieder an, seinen Namen in ABEL zu ändern und neue Wege seiner Karriere einschlagen zu wollen. Mit anderen Worten: das neue Album könnte das letzte The-Weeknd-Album sein. Bleibt die Frage: überfordert das den durchschnittlichen Weeknd-Hörer oder ist es genau das, was ihn relevant bleiben lässt? Die Frage stelle ich bewusst schnippisch. Persönlich gehört er für mich zu den größten Stars weltweit – und das obwohl ich noch nie ein komplett konsistentes Album von ihm gehört habe.
Egal mit wie vielen Tracks der 34-Jährige seine Alben aufmotzt und wie viele Lückenfüller sich darauf verstecken könnten – Songwriting und Produktion sind meist so stark, dass es für vier bis fünf Welthits pro Album reicht. Ein Blick auf die monatlichen Streaming-Zahlen bestätigen das auf mehr als beeindruckende Weise. Und ja, Hurry Up Tomorrow macht dabei wieder mal keine Ausnahme. Los geht’s mit dem starken Opener Wake Me Up, einer düsteren Synth-Ballade aus dem Hause Justice, die melodisch auch an Michael Jacksons Thriller erinnert. Ein, zwei Tracks mehr von dieser Sorte hätte ich gerne auf HYPERDRAMA gehört. Just saying, naja. Zwar knüpft Cry For Me verheißungsvoll mit tiefem Bass und dunklen Synths daran an, zerfällt dann aber in eine RnB-Pop-Nummer ohne Ohrwurmcharakter.
Wenn Streaming-Hits zum Ballast werden
Fairerweise erwähne ich an dieser Stelle, dass ich The Weeknd immer dann stärker finde, wenn er auf druckvolle Elektronica-Tracks setzt, weil ich seine souligen Songs meist generischer empfinde und generell einfach kein Fan von Trap, R’n‘B oder Autotune-Gebrabbel bin. Und auch wenn ich den Mut beim experimentellen Mix aus Brazil-Funk und Elektro-Pop schätze, finde ich beim Anitta-Feature São Paulo so gar keinen Zugang. Ihre Vocals nerven mich nur und auch sonst wirkt hier alles wie ein anstrengender Major-Lazer-Abklatsch. Baptized In Fear wirkt danach wie ein Reminder an alles, was der Kanadier jemals produziert hat. Aber immerhin beendet er das Soundchaos und außerdem gefällt mir an dem dunklen Track der kreative Text über innere Konflikte.
Open Hearts holt mich dann endlich wieder komplett ab. Nicht nur, weil er wie z. B. bei Moth To A Flame oder Save Your Tears erfolgreich die romantischen Lyrics von Tesfaye mit emotionalen und melodischen Synth- und EDM-Pads kombiniert, sondern weil er eingängiger klingt, als seine Vorgänger. Für mich das große Highlight des Albums. Die drei Interludes zu Beginn des Albums empfinde ich übrigens eher als unnötig, aber Opening Night ist mit seinen 1:36 immerhin ein guter Übergang in Reflections Laughing mit Florence + The Machine. Hier geben sich Akkustik-Gitarre, 80s-Synths, dezente Chöre im Hintergrund und ein cooler Switch zum Part von Travis Scott (Autotune bleibt Mist, aber sei hier verziehen) die Hand. Jep, wir sind definitiv im besten Abschnitt von Hurry Up Tomorrow angekommen.

Die Hälfte aller Tracks einfach mal skippen Schade, dass anschließend mit Enjoy The Show (immerhin top Beat) mit Future und Give Up On Me gleich zwei Songs folgen, die praktisch alle Elemente beinhalten, die ich bei The Weeknd berechenbar finde. FAST! Letzterer mutiert nach der ersten Hälfte nämlich zu einer souligen und piano-lastigen Ballade, was ihn deutlich aufwertet. Auf ein völlig egales I Can’t Wait To Get There, dem wahnsinnig öden Autotune-Bass-Abfuck Timeless mit Playboi Carti und einem leider überproduzierten Niagara Falls, folgt dann schließlich mit Track Nummer 15 wieder eine schön melancholisch geschriebene Synth-Pop-Ballade namens Take Me Back To LA. So langsam bahnt sich aber an, dass dieses Album den verkopften Konzepten nicht gewachsen ist.
Giorgio Moroder, der 84-jährige Welt-Komponist aus Italien, sorgt dann in Big Sleep wenigstens dafür, dass The Weeknd der futuristisch-melancholischen Synth-Linie über zwei Songs hinweg treu bleibt. Vor allem die Chor-Echos zum Ende des Tracks lassen den Song eher wie einen cineastischen Soundtrack erscheinen. Auch Give Me Mercy und Drive fügen sich hier atmosphärisch als 80er-Jahre R&B- und Pop-Hybriden im Stile von Michael Jackson oder Lionel Richie nahtlos ein. Der experimentelle The Abyss, auf dem die Stimme von Lana del Rey extrem gut mit Tesfayes Stimme harmoniert und der intensive Red Terror, der auch inhaltlich wieder Richtung Dunkelheit ausgerichtet ist, zeigen dann im positiven Sinne: hier war mehr drin.
Without A Warning geht dann als vorletzter Track ein bisschen unter, hält die seit mittlerweile fünf Tracks eingeschlagene Stimmung aber wenigstens aufrecht. Die gute Nachricht ist: auch der Titeltrack, mit dem das Album abschließt, bleibt der kohärenten zweiten Hälfte treu. Beginnend mit spirituell anmutenden Vocalpads, einem schönem Melodywriting aus Synth-Pop und Piano-Ballade und einem Text, der als Abschluss nicht besser passen könnte, beendet The Weeknd sein Album mit kraftvollen Emotionen. Kicken wir mal die Probleme des Albums raus, hätte es so ausgesehen:
1. Wake Me Up 2. Baptized in Fear 3. Open Hearts 4. Reflections Laughing 5. Take Me Back To LA 6. Big Sleep 7. Give Me Mercy 8. Drive 9. The Abyss
10. Red Terror 11. Without A Warning 12. Hurry Up Tomorrow Das wäre es gewesen...
Fazit: ⭐⭐⭐ / 5
Ach man. Das tut weh. Wäre hier einfach auf Clickbait-Mainstream, Interludes und Clickbait-Features verzichtet worden, hätten wir ein cineastisches Elektronica-Brett geschenkt bekommen. Nicht immer eingängig, aber konsistent wie ein Film-Score. Chöre, 80er Synth-Lines, düstere Lyrics und Songstrukturen fernab des Pop-Nonsens. Die Wahrheit ist aber auch: Am Ende kommen vielleicht zwei Tracks an Vorgänger wie Take My Breath oder Less Than Zero heran (auf Dawn FM), ganz sicher aber kein einziger an Save Your Tears, Blinding Lights oder In Your Eyes (alle auf After Hours). Die abgespeckte Konzeptversion wäre eine 4-4,5 geworden. Aber weiterhin ohne Welthits.
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