Der Filmtipp: Nosferatu - der Untote (2025)
- Michael Scharsig
- 2. Jan.
- 4 Min. Lesezeit
Wohl kaum ein Name steht neben Dracula so sehr für die düsteren Blutsauger, wie Nosferatu. Die Filme über den Lustmolch mit Schneidezahn haben tiefgreifenden Einfluss auf die Filmwelt und das Horror-Genre hinterlassen. Der originale Stummfilm von Friedrich Wilhelm Murnau aus dem Jahr 1922 gilt als Meilenstein des expressionistischen Kinos und als einer der ersten Vampirfilme. Damals setzten die innovative Bildsprache und die kreative Verwendung von Licht und Schatten Maßstäbe, heute überrascht es ehrlich niemanden, dass ausgerechnet Robert Eggers (The VVitch, Northman, u. a.) ein Remake drehen würde.

Das erste Remake Nosferatu – Phantom der Nacht (1979) von Werner Herzog, das Klaus Kinski als Vampir zeigt, wurde ebenfalls hochgelobt und erweiterte das ursprüngliche Konzept um psychologische Tiefe, indem es die Einsamkeit des Vampirs thematisierte. In Eggers‘ Version, so viel kann ich vorweggreifen, wird auch Hommage an die alten Vertreter des Genres gezahlt. Aber eines nach dem anderen.
Worum geht es?
Willkommen im kalten Deutschland des 19. Jahrhunderts. Die junge Ellen, geplagt von Einsamkeit, betet um Beistand und zieht damit den transsylvanischen Vampir Nosferatu an, der aus seinem langen Schlaf erwacht. Ihre Verbindung zu dem Untoten soll sie jahrelang verfolgen und vor allem nachts Besitz von ihr ergreifen. Währenddessen wird ihr nichtsahnender Ehemann Thomas Hutter als Immobilienmakler beauftragt, das verfallene Schloss des Grafen Orlok zu verkaufen. Dessen eigentlicher Plan: sich einmal mehr mit Ellen zu verbinden. Bei seiner Ankunft bringt er Chaos, Seuchen und Wahn über die Stadt.
Merke: Niemals Grafen aus Transsilvanien anflirten
Fangen wir bei den Figuren und den Schauspieler:innen, die sie verkörpern an. Diese tragen nämlich maßgeblich zur düsteren Atmosphäre des Films bei. Bill Skarsgård (It, The Crow, u. a.) als Graf Orlok bringt eine faszinierende Mischung aus Bedrohlichkeit und Verletzlichkeit in seine Rolle. Trotz dessen intensiver Vorbereitung, einer grandiosen Maske und einem historisch akkuraten Schnörres, wirft mich eben dieser leider ein wenig raus. Warum eigentlich? Brauch ich unbedingt knallweiße Zombie-Vampire? Egal. Seine Darstellung der unheimlichen Präsenz zieht das Publikum trotz allem in den Bann zieht und lässt den Vampir eher wie ein Albtraum in einem Horrormärchen erscheinen.
Lily-Rose Depp (The King, The Idol, u. a.) als Ellen Hutter stiehlt ihm dabei allerdings die Show. Die Art und Weise, wie sie die innere Zerrissenheit von Ellen mimt, dabei schauspielerisch von verletzlicher Anfälligkeit, wahnsinniger Besessenheit, wehrloser Lust bis hin zu einer starken Entschlossenheit wechselt, verdient absoluten Beifall. Obwohl ihre Rolle die mit Abstand komplexeste der Geschichte ist, meistert sie diese in jeder Minute und gibt dabei auch physisch alles. Das Jahr 2025 hat buchstäblich gerade erst begonnen, doch wenn diese Darbietung 2026 nicht mit einer Oscar-Nominierung bedacht wird, steht uns noch ein großes Kinojahr bevor.
Willem Dafoe als Professor Albin Eberhart von Franz bringt eine fesselnde Intensität in den Film, die sowohl als Gegenspieler als auch als Mentor funktioniert. Dieser Mann ist eine so sichere Besetzung, dass der Überraschungseffekt beinahe ausbleibt. Nicholas Hoult (Mad Max: Fury Road, Warm Bodies, u. a.) als Thomas Hutter rundet das Ensemble ab und bietet eine solide Grundlage für die Interaktionen mit Orlok und Ellen. Spannender empfand ich Aaron Taylor-Johnson (Bullet Train, Nocturnal Animals, u. a.) als Friedrich Harding, der teils wie eine Karikatur wirkt, gleichzeitig aber dadurch auch unnötig viel Aufmerksamkeit auf sich zieht. Sein teilweise sympathisch, teilweise narzisstisch auftretender Harding wirft Fragen auf – ob das nun gut oder schlecht ist, ich weiß es nicht. Mich hat das irgendwie abgeholt oder zumindest interessiert.

Machen wir uns nichts vor. Es sind die audiovisuellen und technischen Elemente, die Robert Eggers Nosferatu am Ende herausragen lassen. Die authentische Gestaltung der Kostüme und Kulissen, die in die düstere Ästhetik des 19. Jahrhunderts eintauchen, schafft eine realistische und unheimliche Atmosphäre, die das Publikum sofort in ihren Bann zieht. Die sättigungsarme Farbpalette, ergänzt durch warmes Feuerlicht und kaltes Mondlicht, verstärkt den grimmigen Ton des Films und erinnert an die Wurzeln seiner Vorgänger. Alles scheint wie ein altes Theaterstück.
Die Kameraführung von Jarin Blaschke nimmt dabei oft eine Art „schwebende Perspektive“ ein, was vor allem dann für Begeisterung sorgt, wenn wir wie eine Krähe den Schatten von Nosferatu folgen, während diese die Stadt umhüllen. Und genau so fühlt sich im Prinzip das ganze IMAX-Erlebnis an. Als umhülle uns die Welt des Nosferatu. Aber versteht mich nicht falsch. Wer hier die Romantisierung der Vampire sucht, der wird irren. Die sexuelle Anziehungskraft ist hier eher ein animalisches Symptom der Besessenheit und der Vampir nun wirklich kein Schönling, sondern ein empathieloses, kindermordendes Monster.
Fazit: ⭐⭐⭐⭐⭐ / 5
Leute, wenn ihr auch nur annähernd von euch behauptet „Kino“ zu lieben, dann geht für diesen Film bitte auch dahin. Die Atmosphäre, die Theater-ähnliche Aufmachung und Lily-Rose Depp sind es wert, auf der großen Leinwand erfahren zu werden. Nosferatu ist weder ein brutaler Beast-Horror, noch ist er eine verweichlichte Teenie-Romanze. Er besinnt sich auf die Stärken seiner Wurzeln und reichert sie mit der Technik von heute an. Ich würde mich stark wundern, wenn er sich am Ende des Jahres nicht immer noch in meiner Top Ten festbeißen würde.
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