der Filmtipp: Reality (2024)
- Michael Scharsig
- 10. Feb. 2024
- 3 Min. Lesezeit
Ein Verhör ist vermutlich nie angenehm – doch das zwischen Reality Winner und zwei FBI-Agenten strotzt nur so vor Unbehagen, Kälte und Dichte.

Worum geht es?
Am 3. Juni 2017 kommt die 25-jährige Reality Winner (was für ein großartiger Name) von einem Einkaufsbummel zurück und findet zwei FBI-Agenten in ihrem Haus in Augusta, Georgia, vor. Die Air Force-Veteranin und Yogalehrerin wird in den nächsten zwei Stunden zu ihrer Arbeit als Auftragnehmerin für den Geheimdienst befragt - insbesondere dazu, ob sie ein geheimes Dokument über die Einmischung Russlands in die US-Wahlen 2016 weitergegeben hat.
Vorteil für Geschichtsmuffel und Nichtwissende
Eines vorweg: Mein großer Vorteil bei diesem Film war, dass ich über die wahren Begebenheiten nicht ansatzweise Wissen besaß oder informiert war. Ich kannte also weder die Hintergründe noch den Ausgang der ganzen Geschichte. Das heißt, ich konnte das ganze Kammerspiel zwischen Reality und den beiden Agenten durchweg gespannt verfolgen und genießen. Wer zu viel über Reality Winner weiß, der wird vermutlich nicht auf gleiche Weise mitfiebern können, sondern eher eine beobachtende Rolle einnehmen.
Persönlich habe ich den Film nur ausgesucht, weil er a) bei Prime für lau angeboten wurde und b) weil ich gehört habe, dass Durchstarterin Sydney Sweeney hier glänzt. Neue Nuancen und Facetten bei Darstellern und Darstellerinnen zu entdecken, weckt eigentlich immer mein Interesse. Bis dato habe ich sie ausschließlich aus Horror-Filmchen wie The Horde oder The Ward, dem Marvel-Murks Madame Web sowie in ihrem Mini-Einsatz in Quentin Tarantino’s Once Upon a Time in Hollywood gesehen. Und ganz ehrlich, an nichts daran erinnere ich mich. Nur an die weltweit erfolgreiche Romcom Anyone But You, die ganz charmant war, aber eben nicht die Messlatte.
Da ich serientechnisch weder White Lotus, noch The Handmaid’s Tale oder Euphoria verfolge (Ich weiß. Steinigt mich.) konnte ich dem Hype um ihre Person bis zu diesem Film also nicht wirklich nachvollziehen. Bevor ihr fragt: mein Typ ist sie auch nicht. Soll heißen, meine Entdeckungsreise zu Sydney Sweeney sollte hier starten und was soll ich sagen? In Zukunft werde ich die Karriere der 27-Jährigen genauer verfolgen. Die kleinen schauspielerischen Feinheiten, die sie hier einzig durch Körpersprache und Mimik an den Tag legt, sind phänomenal.

Anxiety für etwa 80 Minuten - nur warum ist nicht ganz klar
Die Interaktion zwischen Reality und den Agenten ist eine ständige Achterbahnfahrt. Es passiert auf den ersten Blick nicht viel. Und doch so viel. Ist Reality ehrlich? Sind die Agenten ehrlich? Wie viel professionelles Training steckt in Realitys Verhalten? Immerhin sind Politik, Geheimdienst und Co. ja kein Neuland für sie. Wie sehr ist sie während des Verhörs Privatmensch? Ständig wechseln die Eindrücke, die Sichtweisen, die Stimmung. Ein Blick trifft den anderen. Manches bleibt ungesagt. Ein Katz-und-Maus-Spiel, bei dem nie klar ist, wie viel Jäger und Gejagte hier voneinander wissen und preisgeben.
Nochmal: das alles lässt sich nur komplett genießen, wenn einem die Gründe für die Durchsuchung selbst unklar sind. Deshalb vermeide ich hier auch bewusst mit einigen Begriffen und Namen um mich zu schmeißen. Geht so unbedacht wie möglich an den Film! „Lässt einen abermals daran erinnern, dass die Politiker Angst vor dem Volk haben sollten und nicht andersrum“ schrieb CET-Podcast-Kollege Tom in seiner Letterboxd-Review zu dem Film und dem kann ich nur zustimmen.
Fazit: ⭐⭐⭐⭐/ 5
Sydney Sweeney und ihre beiden Kollegen Josh Hamilton (Manchester By The Sea, The Walking Dead, u.a.) und Marchant Davis liefern hier eine Masterclass an Schauspiel-Kino ab. Wer hier einen rasanten Thriller erwartet, der wird enttäuscht sein. Beinahe dokumentarisch schickt uns Regie-Debütantin Tina Satter durch ein Kreuzverhör auf privatem Grundstück. Statt Explosionen und Faustschlägen machen hier Blicke, Körperhaltung und Dialoge das Geschehen aus. Für mich ein Highlight des Jahres.
Comments