der Filmtipp: The Long Walk (2025)
- Michael Scharsig
- 13. Sept.
- 3 Min. Lesezeit

Für die einen bedeutet „Todesmarsch“ der vierte Stock, in dem ich wohne. Für die anderen bedeutet es eine Kugel in den Kopf, wenn Du aufhörst zu gehen. Kann jeder selbst entscheiden, was wirklich hart ist. Seit diesem Sommer wird das Wort auch im Zusammenhang mit The Long Walk im Gedächtnis bleiben. Hunger Games-Regisseur Francis Lawrence hat die düstere Vorlage von Stephen King verfilmt und damit nach Civil War die nächste US-Dystopie ins Kino befördert. Hand aufs Herz: Mittlerweile ist schwer zu schätzen, welcher der beiden Filme näher an einer möglichen Zukunft liegt.
Worum geht es?
Wir befinden uns mitten im autoritären Amerika. Ein nicht weiter erklärter Krieg in einer nicht weiter erläuterten nahen Zukunft hat die Staaten in ein Wasteland der eigenen Gesellschaft verwandelt. Mitten im vermeintlichen Neuaufbau hält ein nationales Ritual die Welt bei Laune – der Todesmarsch. Ähnlich einem Gladiatoren-Event, wandern fünfzig junge Männer aus jeweils anderen US-Staaten auf einer festgelegten Strecke los – ohne Erlaubnis langsamer zu werden, ohne Erlaubnis schneller zu werden und mit nur einem einzigen Versprechen: Der letzte Überlebende wird finanziell aussorgen und erhält zusätzlich einen Wunsch, der ihm gewährt wird.
The Long Walk nimmt seine vermeintlich simple Prämisse von der ersten Minute an ernst und setzt sie gnadenlos als Survival-Drama um. Getragen wird das Ganze von Cooper Hoffman und David Jonsson, die die beiden Teilnehmer Ray Garraty und Peter McVries spielen. Jonsson untermalt meine Lobeshymnen aus Alien: Romulus und gehört für mich fest zur Elite der Zukunft: Sein Charisma, seine Bandbreite an Emotionen – erfrischend authentisch und unterhaltsam. Auch Hoffman liefert eine großartig nuancierte und auch physische Leistung ab. Das Sahnehäubchen ist Mark Hamill als unnahbarer, eiskalter und emotionstoter Major. Zudem bekommt Roman Griffin Davis aus Jojo Rabbit einen denkwürdigen Kurzeinsatz. Aber wirklich ALLE Darsteller geben hier Bestleistungen ab.

Dass ausgerechnet Panem-Regisseur Lawrence für diesen Film gebucht wurde, ist sicherlich kein Zufall. Allerdings inszeniert er in diesem Fall einen deutlich dichteren und emotional dramatischeren Streifen. Die Unterschiede sind entscheidend: Das sensationsgeile Publikum bleibt beinahe durchgehend angedeutet. Statt buntem Game-Design gibt es nichts als endlosen Asphalt, Blut, Schweiß und Tränen. Keine Auswege, keine Gimmicks, keine Welterklärungsmonologe. Kleine Schmunzler tauchen auf. Aber nur, wenn sie sich logisch aus Gesprächen der jungen Männer ergeben – nie als Mood-Candy. Zudem wird jeder schöne Moment schnell wieder unterbrochen.
Der Film lässt nicht nur die Protagonisten „leiden“. Auch der Zuschauer sollte Geduld und Durchhaltevermögen mitbringen. Dramaturgisch wird hier bewusst auf Wiederholung und Rhythmus gesetzt, während die Erschöpfung der Figuren optisch immer weiter zunimmt. Die Kamera (Jo Willems) bleibt dicht an Gesichtern und Füßen, verliert aber nie die Topografie dieser scheinbar endlosen Straßen, die den Marsch wie eine Prüfung der Geografie erscheinen lassen. Der Score von Jeremiah Fraites ist auf Atemzüge, Puls und Schüsse abgestimmt. Dieser Todesmarsch verlangt viel und er wird nachhallen.
Fazit: ⭐⭐⭐⭐ / 5
The Long Walk ist kein Spektakel für schnelle Tränendrüsen, unangebrachte Lacher und billige Jumpscares, sondern ein Marathon der harten Gangart. Von der ersten Minute an gibt es einen einzigen Helden: Empathie. Es ist erstaunlich, wie gut der Film trotz seiner simplen Ausgangslage funktioniert. Das wirkliche Highlight ist aber, wie gut sich Optimismus und Menschlichkeit in diese düstere Geschichte einfügen. Wer hätte gedacht, wie klaustrophobisch die Weiten der USA (in Wirklichkeit Kanada, aber egal) sein können. Großes Schauspielkino, das mir sogar ein bisschen Tränenwasser ins Auge geschubst hat. Das Ende wird nicht alle begeistern. Ich denke, dass es erst dann seine Wirkung erzielt, wenn darüber noch lange nachgedacht und gesprochen wird.










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