Justice – Hyperdrama (2024)
- Michael Scharsig
- 30. Apr. 2024
- 3 Min. Lesezeit
Gaspard Augé und Xavier de Rosnay haben als Justice nicht nur die französische Elektro-Szene revolutioniert, sie haben weltweit ganze Genres geprägt. Mit vergleichsweise wenig Longplayern. Für mich zählen der Live-Mix von Stress und die epische EP Planisphere zur absoluten Elite der elektronischen Musik und beide laufen bei mir heute noch rauf und runter. Umso gespannter war ich auf Hyperdrama – das erste Album nach achtjähriger Pause. Leider wurde das Pulver mit den Vorab-Veröffentlichungen verschossen und eine Erwartungshaltung kreiert, die zu keinem Moment eingehalten werden konnte.

Los geht es mit Disco-Funk-Opener Neverender, der mit seinen Pads, Arpeggios und sanften Basslines im Zusammenspiel mit Kevin Parkers Gesang genau eines nicht ist: dirty. Die Franzosen gehen auf Nummer sicher und liefern eine soulige Variante für den Startschuss, der auch als Track 10 von Random Access Memories getaugt hätte. Sauber produziert, mir allerdings ein wenig zu glatt und arty farty. Sozusagen versöhnlich geht es mit der instrumentalen Vorab-Single Generator weiter, die Piano-House-Akkorde mit beschwingten Disco-Bässen und sanften Claps mixt und auf Vocals verzichtet. Das erinnert dann schon alles eher an Stress und Co., bleibt dabei allerdings entspannt und hat sogar seine cineastisch-epischen Momente. Spoiler: mein Favorit des Albums.
Generator ist nämlich schon der Punk des Albums und das ist ein Problem, zumindest, wenn man mit einer ähnlichen Erwartungshaltung an das Album geht, wie ich. Wer auf chilligen Synth-Pop mit French-House-Einflüssen steht, der wird hier glücklicher. Ich aber nicht und kaum ein Song steht dafür so sehr, wie Afterimage. Einmal mehr treffen schöne Synthlinien, ein langsamer Club-Beat und hohe, seufzende Stimmen – dieses Mal in Form von Rimon – aufeinander. Als Konzept, dass beinahe alle Features in ähnlichen Vocal-Gefilden unterwegs sind, funktioniert das gut, gebe ich zu. Es macht das Album homogener, aber einzelne Tracks darauf auch austauschbarer.
Spiel den selben Song nochmal
One Night / All Night ist für mich unter all den funkigen Too-Cool-For-School-Nummern dabei noch die eingängigste, aber weit entfernt davon, ein Highlight zu sein. Dass die Main Vocals von Tame Impala hier auch noch repetitiv eingesetzt werden, macht es nicht besser. Dear Alan versucht wenigstens gar nicht mehr zu sein, verzichtet aber auf die inflationär eingesetzten Vocals und entführt uns mit seinen brabbelnden Arpeggios in die frühen 2000er des French House. Noch cooler kommt der progressive Dark-Disco-Track Incognito daher, der nur Stimmschnipsel einwirft und sich zwischen Funk-Gitarre und House-Beat zu einem Flanger-Klimax grooved, der sich gewaschen hat. Was ich absolut nicht verstehe ist, warum jeder starke Album-Moment nur wenigen Sekunden bekommt und sofort in die homogene Suppe zurückgeschmissen wird.
So geht der Song nicht nur nahtlos in Mannequin Love mit The Flints über. Dieser schreit mir einmal mehr in Boy-George-Manier ins Gesicht: „DU KRIEGST HIER KEINEN ROTZIGEN INDIE-ELEKTRO!“. Wieder summt der Synthesizer im Hintergrund, wieder wuppt der Disco-Beat vor sich hin, wieder Falsetto – keine musikalischen Überraschungen. Eigentlich im Stile eines Outros. Nur sind wir gerade mal bei der Hälfte angekommen. Mein Hype hat sich jedenfalls in Luft aufgelöst. Moonlight Rendez-Vous versucht dann zumindest anders zu sein und liefert einen Hybrid aus Careless Whisper und melancholischem Synthwave. Das ist ganz witzig, aber das Timing in der Abfolge der Tracks könnte nicht schlechter gewählt sein.

Explorer wählt immerhin einen düsteren Ansatz, irgendwo zwischen 80er Horror Movie und Phantom der Oper. Zu erzählen hat der Track mit Gastsänger Connan Mockasin aber auch nicht viel und tappt vor sich hin. Muscle Memory hätte dann, mit ein bisschen mehr Wucht, Kick und Schmutz ein zweites oder drittes Highlight des Albums sein können. Ein witziger Mix aus SNES-8-Bit-Stepper und Lifeline-Piepsern baut Spannung auf – doch auch hier bleibt der Fuß auf der Bremse, sodass alles in einer zugegeben schön klingenden Synth-Hymne mündet. Doch das hat alles wirklich schon zigmal gegeben.
Um Zeit und Zeilen zu sparen, lässt sich zum Finale von Hyperdrama festhalten, dass auch die beiden Songs Saturnine mit Miguel und The End mit Thundercat nicht mehr zu bieten haben, als das, was zuvor schon mehrfach abgespult wurde. Funkige Gitarren, ein bisschen Groove, ein dicker Bass und Gesang, der wie aus einer Lounge importiert klingt. Wäre für ein oder zwei Songs okay gewesen. Nicht aber für 13 Lieder am Stück. Tatsächlich klingt das Gesamtwerk in seiner nur vermeintlich perfekten Art und Weise dadurch sehr abgehoben und möchtegern-kunstvoll.
Fazit: ⭐⭐ / 5
Hyperdrama wird seinem Namen alles andere als gerecht. Wer knackigen Indie-Elektro oder eingängige Charter wie D.A.N.C.E. erwartet hat, der wird enttäuscht sein. Mit geht es nicht darum, Altbewährtes nochmal aufzuwärmen. Kreativität ist immer besser als People Pleasing. Das Album hat Konzept. Es ist aalglatt und hochprofessionell produziert. Nur schwingt es mit ein, zwei Ausnahmen kilometerweit an dem vorbei, was mich an Justice früher begeistert hat.
Label: Ed Banger Records / Because Music
Comments