Nothing More - Carnal (2024)
- Michael Scharsig
- 6. Juli 2024
- 3 Min. Lesezeit
Im Zeitalter der Algorithmen und des Target-Marketings kann es immer noch passieren, dass ich Musiker verpasse, die seit vielen Jahren exakt das zu machen scheinen, was ich gerne höre. So entgehen mir zwar hin und wieder einige Hypes, auf der anderen Seite kann ich mich etwas später dann aber an meinen neuen „Entdeckungen“ satthören. Nothing More sind so eine Entdeckung.

Im Zuge der ganzen Metalcore-Bands, die ich aktuell höre, wurde mir irgendwann auch das großartige If It Doesn’t Hurt vorgeschlagen - die erste Single des siebten Studioalbums der Kalifornier. Verzerrte Gitarren, elektronische Effekte im Hintergrund, heavy Riffs, ein paar Shouts und ein sehr eingängiger Refrain samt Metalcore-typischem Breakdown. Irgendwie hat mein Gehirn die Band dadurch automatisch in diese Schublade stecken wollen.
Das Album sollte mich eines Besseren belehren. Nicht wegen mangelnder Qualität, sondern aufgrund eines perfekt durchproduzierten Hard-Rock-Ritts durch diverse Stile. „Wenn du einatmest und den Atem anhältst, verlierst Du den Atem. Aber wenn du ausatmest, kommt er zu dir zurück“. Mit diesen Worten, schönen Gesangslinien, filmisch-episch aufgeladenen Drums und elektronischer Dramatik entlädt das Intro sich in den ersten Song: House On Sand, gemeinsam mit Eric Vanlerberghe, Frontmann von I Prevail. Bis hierhin schreit im wahrsten Sinne des Wortes noch alles nach Metalcore.
Ausgerechnet Disturbed-Feature durchbricht die Erwartungshaltung
Wie bei der ersten Vorabsingle ist auch hier der Refrain die große Stärke des doch etwas repetitiven Songs, dessen einziges anderes Highlight der Beartooth-ähnliche Breakdown ist. Das Feature mit Eric V scheint auch eher Marketing-Zwecken zu dienen. Kein schlechter Song, ich höre ihn auch heute noch. Doch insgesamt folgt hier alles schon einer gewissen Formel, die ich wie vorab erwähnt auch wenig befürchtet hatte. Mit If It Doesn’t Hurt als Nummer drei geht es aufwärts, aber noch immer innerhalb meiner Erwartung.
Schon Track Nummer 4 klatscht mir dann aber mit einem harten, groovenden und simplen Riff ins Gesicht, während sich kindergleiche Chöre darüberlegen. Da fuq? Die dritte Single-Auskopplung Angel Song ist ein Brett und liefert mit David Draiman von Disturbed dann auch ein Feature, das musikalisch wie die Faust aufs Auge passt. Erneut bleibt festzuhalten: Chorus-Schreiben ist hier der King und die zweistimmigen Parts klingen einfach nur harmonisch. Am Ende flext der Song auch noch mit einem blitzsauberen Gitarrensolo.
Sehen wir mal davon ab, dass ich überhaupt kein Freund von Stadienchören bin, die immer ein bisschen erzwungen wirken, also diese „Whoas“ und „Wohohooos“ zum Mitsingen, gefällt mir auch das darauffolgende Freefall ganz gut. Mit Don’t Blame It On The Drugs haben wir dann aber fix die nächste Überraschung, die so klingt, als hätten The Killers, Panic At The Disco und My Chemical Romance gemeinsam ein bisschen im Studio abgehangen. Metalcore, Hard Rock, Emo – was kommt als Nächstes?

Genre-Achterbahnfahrt mit zu viel Pausen, aber richtig guten Refrains
Klar, ein mit Dubstep-Elementen gefüllter Übergang hin zu einem Metal-Riff, auf das ein elektropoppiger Gesang folgt, der mich wiederum an Bad Guy von Billie Eilish und Levitating von Dua Lipa erinnert. I can not unhear it, sorry. Das gute Stück heißt Existencial Dread, hält vor allem beim Songwriting die hohe Qualität aufrecht und mündet dann in einen erneuten Lückenfüller. Dieser ist mit über drei Minuten instrumentaler Epik dann aber doch eher eine zähe Bremse, als rasantes Öl im Feuer.
Down The River und Give It Time sind dann die beiden Nummern, auf die man hier sicher gegangen ist. Große Aha-Momente gibt es nicht, zweimal hören wir einen durchweg top-produzierten Sound, irgendwo zwischen Alternative-Herzschmerz und Emo-Punk-Pop. Umso mehr knallt dann aber wieder Stuck, dass Trap-Metal-Rapper Sinizter mit im Gepäck hat und vor allem Freunde von Nu Metal und den ersten Tracks des Albums abholen dürfte. Run For Your Life packt dann noch einmal Elektronik und Metalcore aus, wirkt mit seinen fast 5 Minuten aber fast eher wie ein Fremdkörper.
Fazit: ⭐⭐⭐⭐ / 5
Ich hätte es bei jedem Song erwähnen können: Die große Stärke von CARNAL ist das eingängige Songwriting. Die Truppe macht hier keine 8-minütigen Experimente und es wird auch nicht drei Minuten lang geschreddert und geschrien. Damit treten sie bei mir allerdings offene Türen ein, denn zu oft vermisse ich Alternative-Alben, die einfach rund und schnörkellos sind. Ein, zwei Interludes zu viel, dafür aber durchweg Ohrwürmer. Für mich jetzt schon ein Jahres-Highlight. Nothing More und nothing weniger.
Label: Better Noise Music
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