Reneé Rapp – Bite Me (2025)
- Michael Scharsig
- 2. Aug.
- 3 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 30. Aug.
Keine Ahnung, wie ich ihren Namen ausspreche. Alles, was ich im Kopf habe, ist MC Rene. Tiefsinniger Einstieg, ich weiß. Das Schöne an einer eigenen Plattform ist, nicht so tun zu müssen, als würde ich jeden Artist und seine gesamte Geschichte kennen. Warum ich mich mit diesem Album auseinandersetze? Es wurde mir empfohlen. Bite Me von Reneé Rapp besitzt erstaunlich gute Review-Werte und ich möchte den ganzen Spaß hier nutzen, um auch mal Neues zu entdecken. Das zweite Studioalbum der US-Amerikanerin soll zudem zutiefst persönlich sein und gezielt ungezähmt sein.

Inhaltlich ist es ein Stimmungskapsel-Projekt, das die vergangenen zwei Jahre ihres Lebens dokumentiert — beruflich, privat, mit Höhen, Tiefen und einer Prise Impostor-Syndrom. Der Sound oszilliert zwischen poppigen Punchlines, Y2K-Alternative-Melancholie, Disco-Anklängen und ehrlicher Queer-Pop-Rhetorik, so viel nehme ich einfach vorweg. Das Album umfasst immerhin zwölf Tracks, die allerdings in etwa 33 Minuten durchgezogen werden – wenig Zeit für große Dramen. Wie also klingt diese Scheibe nun Stück für Stück? Der Opener Leave Me Alone startet zumindest mit einem frischen und reduzierten Elektro-Punk-Pop Beat und tänzelt irgendwo zwischen Kesha und Joan Jett. Macht Spaß, aber so richtig nachhaltig ist der Start noch nicht.
Da gefällt mir Mad, die nächste Nummer gleich besser. Vor allem der Pre-Chorus mit seinem schönen Melody-Writing und dem bissigen Zweizeiler „I wish I could take that pretty little face and shake some sense into you“ bleibt hängen. Why Is She Still Here? macht jazzig und balladesk weiter, allerdings nicht weniger zynisch: „God forbid I draw any attention to questions you never answered. Well, except for, "Who's fucking you better?". Die ehrliche, laute Art ihrer Texte im Kontrast zu den eher seicht geschriebenen Instrumentals gefällt mir bis hierhin. Trotzdem bin ich froh, dass es mit Sometimes dann auch mal Abwechslung gibt. Naja. Zumindest musikalisch. Eine wirklich emotional vorgetragene nette kleine Piano-Einlage. Leider erneut über unerfüllte Liebe zu Typen, die es nicht checken. Realistisch, aber eintönig. Erst der Sex, dann der Ex - dann kurz interessant
Kiss It Kiss It bricht dann endlich den Bann, geht ein bisschen nach vorne und klingt geradzu happy. Thematisch singt Rapp hier über eine Wochenend-Affäre mit einem Mädchen aus einem anderen Stadtteil. Textlich bleibt die flirty Synth-Pop-Geschichte leider auf OnlyFans-Niveau, aber der Spaß sei ihr vergönnt. Das Album heißt Bite Me, was habe ich überhaupt erwartet?! Dreimal dürft ihr raten, in welche Richtung Good Girl steuert. Optimisten würden sagen, das Werk behandele Widerstand gegen das brave Ich, die rebellische Seite einer Frau. Ficki ficki würden andere sagen. Ich zitiere lieber: „Ooh, sunsets and yoga. Ooh, safe sex and no drugs. Ooh, until you showed up“. Gott sei Dank kommt anschließend mit I Can’t Have You Around Me Any More endlich wieder eine unaufgeregte Akustik-Ballade, die zeigt, was Reneé Rapp lyrisch wie musikalisch eigentlich drauf hat. It’s the simple things.
Shy macht dann aber schnell wieder den Salto rückwärts und es wird wieder gesexelt zu einem soliden Durchschnittsbeat, der auf den ersten Robbie-Williams-Alben als Lückenfüller überlebt hätte. Versteht mich nicht falsch, ich erkenne schon den Selbstbefreiungs-Vibe und das alles und bis zu einem gewissen Pegel ist das auch alles cool. Aber nach 8 Songs hätte ich mir – so persönlich das Album auch sein soll – irgendwie mehr Variation gewünscht. Und als hätte Reneé mich gehört, heißt der nächste Songs At Least I’m Hot. Self-Awareness oder Real-Satire, ich weiß es nicht. Aber wenigstens wieder mit ein bisschen Queerness und Disco-Ansätzen, die vor 5 bis 10 Jahren in Songs wie American Boy (Estelle) oder Feels (Calvin Harris) gut funktioniert haben.

I Think I Like You Better When You’re Gone kommt dann mal wieder ein bisschen frischer daher. Contemporary R&B, nostalgisch und melancholisch. Vielleicht einer der ehrlichsten Tracks auf Bite Me. Und ich hätte wirklich einiges erwartet, aber nicht, dass ein Song mit dem Titel That’s So Funny auf diesem Album den größten Teil Dramatik trägt und im Stile eines James-Bond-Themes von einer toxischen Freundschaft erzählt. Als wäre das nicht genug, präsentiert uns die 25-Jährige zum Abschluss mit You’d Like That Wouldn’t You eine wunderbar sarkastische Pop-Punk-Nummer, von der es gerne hätte mehr geben dürfen.
Fazit: ⭐⭐⭐/ 5 Auf der einen Seite verstehe ich, wenn junge Mädchen ein solches Album feiern, und das ist ihr gutes Recht. Fast alle Songs besitzen Ohrwurm-Charakter. Auch, dass viele ihrer Texte für sämtliche Formen der Liebe zugeschnitten wurden, ist ein Plus. Ich werde aber das Gefühl nicht los, das hier mehr drin gewesen wäre. Zwar wirkt die Persona Renee Rapp auf Bite Me stringent und authentisch. Doch es ist ausgerechnet der provozierende Teil des Albums, dessen Wirkung sich nicht entfaltet. Das wirkt mir zu gewollt ins Gesicht geschrien. Die letzten drei Songs zeigen zudem, wie stark Renee Rapp sein, wenn sie gerade mal nicht von Sex und toxischen Ex-Beziehungen singen muss.










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